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Dresden 2007: Hinaufsteigen, Eintreten, in die Höfe blicken, Verweilen. Von zwei Hochständen schaut man aus zwölf Metern hinab in das Getümmel der Dresdner Neustadt, dem man eben noch selbst angehörte. Rio, Rio heißt die begehbare Skulptur aus zwei Baukörpern, die als Kunstprojekt im öffentlichen Raum zwischen Mai und Oktober 2007 entstehen wird.Der Dresdner Künstler Henry Puchert montiert die beiden Pavillons – etwa acht Meter lang und knapp vier Meter hoch – auf das Wohnhaus Böhmische Straße 27. Der Besucher steigt über einen freistehenden Treppenturm auf das Flachdach des dreistöckigen Hauses. Er gelangt auf ein Plateau, worüber er die beiden Hütten erreicht. Es soll ein Ort sein, der Aspekte von Behausung ins Gedächtnis ruft. Werden diese auf einer Skala abgetragen, dann beginnt sie bei stetiger Sesshaftigkeit und endet irgendwo in Formen des modernen Nomadentums. Das Kunstprojekt – das spanische Rio heißt Fluss – transportiert im übertragenen Sinn Gedanken, so wie große Ströme Verkehrsadern und Handelswege sind. In der zeitlichen Begrenztheit des Vorhabens wird das Provisorische und Vorübergehende deutlich, das diese Kategorien von Gebäuden in sich tragen. Die äußerlich Steilwandzelten ähnelnden Kuben werden aus Restmaterialien zusammengefügt, die vor dem Schredder gerettet wurden. Das sind weggeworfene Sperrholz- und Spanplatten, die als wertvolle Ressourcen ein zweites Mal verwendete werden. Die komplementären Farbtöne beider Baukörper betonen das Prinzip der Einheit in der Polarität: Hütte + Hütte = Skulptur. Dennoch sind die Dach-Pavillons nicht losgelöst aus dem Innenleben der Dresdner Neustadt. Auf wenigen verlassenen Hinterhöfe und brach liegenden Versteckplätzen des Viertels sind Enklaven des Provisorischen noch zu finden: Baracken, Bauwohnwagen oder Schuppen. Die beiden Hütten unterliegen keiner speziellen Funktion, sondern sie experimentieren mit Raum, Form, Licht, Material und Proportionen. Die Skulptur ist der künstlerische Ausdruck dafür, dass in der Neuzeit unser Bedürfnis, die Landschaft oder den urbanen Raum zu besetzen und zu erobern, überlagert worden ist von dem starken Wunsch, uns selbst kritisch in unserem Umfeld zu betrachten. Im Unterschied zu den großen Gebäuden fügen sich die Schutzhütten, Aussichtspunkte und Refugien unauffällig in Landschaften. Häufig tun sie das auch, um ihre Umgebung zu betonen, sodass diese mehr als das kleine Bauwerk selbst zum Mittelpunkt des architektonischen Entwurfs werden. Der Gegensatz von massivem und funktional klar bestimmtem Wohngebäude und den zwischen Kunst und Architektur changierenden kleinen Bauten wird kaum sinnfälliger als in dem Gründerzeithaus, das die beiden Zeltpavillons Huckepack trägt.Hütten spiegeln im sozialen Kontext primär Zuwanderung und Armut. Sie sind in den Megastädten anzutreffen, wo sie auf engstem Raum eine Überzahl von Menschen beherbergen. Sie kommen von außen und setzen sich fest. Den Baukörpern wohnt diese Symbolhaftigkeit der Hütte, des Zeltes und des Lagers inne. Sich dieser Idee auszusetzen, die sich über der Stadt – gleich einer Fatamorgana – ausweitet, das will Rio Rio. Das Steinhaus wird zum Postament, sein Dach zur Tribüne, und der öffentliche Raum zum vorübergehenden Zeltlager. Henry Puchert, Rüdiger Stumpf, 2006